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PolitikEuropa

Europawahl: Linke machen sich gegenseitig Konkurrenz

4. Mai 2024

Die kleinste Fraktion im Europaparlament könnte sich nach der Wahl spalten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht aus Deutschland will den linken Rand aufmischen und eine neue Gruppe bilden. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Brüssel Europa Parlament Wahlwerbung zur Europawahl
Wahlwerbung am Brüsseler Parlamentsgebäude: Für die kleinste Fraktion, die Linken, wird es engBild: Bernd Riegert/DW

Die linke Fraktion im Europäischen Parlament ist mit 37 von derzeit 705 Sitzen im Europäischen Parlament die kleinste. Einige Altkommunisten, Unabhängige aus Irland, Linkspopulisten aus Griechenland, eine Tierschützerin aus den Niederlanden und die Linken aus Deutschland tummeln sich derzeit in der Fraktion, die zwar den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt, eine militärische Hilfe für die Ukraine aber ablehnt.

Der Kommunist Walter Baier aus Österreich ist der Spitzenkandidat der europäischen Linkspartei. Der auf europäischer Ebene unbekannte Walter Baier will mit traditionellen linken Klassenkampf-Parolen die Wahlen gewinnen. Er will sich für die "Rechte der Arbeiterklasse" und gegen deren "Bevormundung durch Eliten" zum Beispiel in der Klima-Krise einsetzen. Ins Europäische Parlament will Walter Baier nicht. Er kandidiert nicht für ein Mandat, sondern will sich für die Menschen einsetzen, die üblicherweise in Brüssel am Sitz der EU nicht wahrgenommen werden, erklärte der Kommunist nach seiner Bestimmung zum Spitzenkandidaten.

Deutschland Bundesparteitag Die Linke
Spitzenkandidaten der deutschen Linken: Parteilose Aktivistin Carola Rackete (li.), Parteichef Martin SchirdewanBild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture alliance

Die Wahlprognosen in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) sagen der linken Fraktion im Europaparlament ein leichtes Schrumpfen auf 34 Abgeordnete voraus.  "Die Umfragen sagen im Moment, dass einige unserer Schwesterparteien dazugewinnen werden, andere vielleicht durch eine etwas schwierigere Phase gehen bei den Wahlen. Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass meine Partei wieder stark einziehen wird in das Europaparlament", meint Martin Schirdewan, linker Abgeordneter aus Berlin und Ko-Vorsitzender der linken Europa-Fraktion. Größtes Problem für den deutschen Linken ist die neue Konkurrenz am linken Rand.

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Sahra Wagenknecht will neue Fraktion im EU-Parlament schaffen

Die ehemalige Galionsfigur der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, hat ihre eigene Partei gegründet und ihr auch ihren werbewirksamen Namen verpasst: Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Nach eigener Aussage will Sahra Wagenknecht nicht mehr als klassisch links, sondern als "vernünftig" angesehen werden. Das schließt mit ein, dass ihre Positionen zu Migration eher zur Christlich Demokratischen Union (CDU) passen würden und ihre verständnisvolle Haltung zu Russlands Machthaber Putin sich mit der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) deckt.

Ihre Partei sei aber nicht rechts und auch nicht links, meint Sahra Wagenknecht, sondern gegen die Berliner Regierungskoalition aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und der Freien Demokratischen Partei Deutschlands (FDP).

Sie gebe "Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit, gegen diese schlechte Politik zu protestieren, ohne eine Partei wählen zu müssen, in der es Neonazis und Rechtsextremisten gibt", meinte Wagenknecht bei der Vorstellung ihres Wahlprogramms. Ein Mandat im Europaparlament will Wagenknecht nicht haben, obwohl die Kampagne ganz auf sie zugeschnitten ist.

Gründungsparteitag der neuen Wagenknecht-Partei
Ganz in Rot: Chefin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht, rechts ihr Ehemann, der ehemalige SPD-Chef Oskar Lafontaine beim Gründungsparteitag im JanuarBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Umfragen billigen der neuen Partei bei ihrer Jungfernwahl im Juni um die fünf Prozent an Wählerstimmen zu. Das wären mehr als die alte Linkspartei erwarten darf. Martin Schirdewan, Ko-Chef der durch die Abspaltung geschrumpften Linkspartei, gibt sich gelassen. "Ich mache mir gar nicht so viele Gedanken um andere, die müssen ja auch erst einmal etwas präsentieren", sagte er der DW.

Linker Kurs in Italien und Griechenland unsicher

Schirdewans ehemalige Parteigenossin Wagenknecht hat angekündigt, im Europäischen Parlament eine neue Fraktion aus der Taufe heben zu wollen, in die sie dann Abgeordnete aus der bisherigen Linksfraktion aus Finnland, Irland oder Frankreich locken könnte. Unklar ist auch, wie sich die italienischen Linkspopulisten von der Bewegung fünf Sterne nach der Wahl einsortieren werden. Bislang sind die Sterne keiner Fraktion beigetreten.

Wenig Rückenwind für die bisherige Linke dürfte aus Griechenland kommen. Der neue Chef der ehemals starken Linkspopulisten Syriza will zwar zurück zu alter Größe, aber Stefanos Kasselakis scheitert bislang an innerparteilichen Querelen. Gleich vier linksradikale Parteien treten in Griechenland zur Europawahl an. Vor zehn Jahren, als Syriza in Griechenland regierte und fast eine Staatspleite hinlegte, hatte die linke Fraktion im Europarlament so viele Mandate wie noch nie: insgesamt mehr als 50.

Griechenland Syriza Parteitag
Vom jungen Unternehmer zum Linkspopulisten in Griechenland: Kann Syriza-Chef Kasselakis Mandate für die europäischen Linken holen?Bild: George Schinas/NurPhoto/picture alliance

Weiter wie bisher?

Das vorhergesagte Erstarken der rechtsnationalen und Rechtsextremen in diesem Jahr macht den Linken Sorge, aber die parlamentarische Arbeit werde das wohl nicht groß beeinflussen, meint Martin Schirdewan. Für ihn bleiben die Themen und Aufgaben der linken Abgeordneten die gleichen wie bisher.

"Klar gibt es eine Gefahr, dass die extreme Rechte erstarkt. Unsere Rolle hier im Parlament ist aber ganz klar, sich für Menschen, die von Armut betroffen sind, einzusetzen", so der linke Ko-Vorsitzende. Sein Lager müsse immer wieder Druck auf die EU-Kommission ausüben, damit soziale Politik nicht untergehe. "Denn gerade auf dem sozialen Auge hat sich diese Kommission von Ursula von der Leyen als leider viel zu blind erwiesen in den letzten Jahren. Und das gilt es für uns weiterhin zu kritisieren."

Bislang war dieser Kurs nicht besonders erfolgreich, meint Vladimir Bortun, Parteienforscher an der Universität Oxford, in einem kürzlich erschienenen Buch zur Europawahl. "Die radikale Linke hat es nicht verstanden, den der EU eigenen Neoliberalismus anzuprangern. Stattdessen gelang es vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen (Covid, Inflation, Krieg), die Europa plagen, der radikale Rechten, von der Protest-Haltung gegen das Establishment zu profitieren", meint der Parteienexperte aus Oxford.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union